Einen Tag offline sein. Ausschlafen, ohne schlechtes Gewissen. Einen Sonntag im Bett verbringen, ohne an irgendwas zu denken. Eine Woche Strandurlaub, ohne Laptop. Klingt banal, aber ich kann mich nicht erinnern, wann ich mir das in den letzten sechs Jahren erlaubt habe.
Wenn morgens die Sonne durch die kleinen Ritzen in den Rollläden fällt, Luna sich an meine Beine rollt und leise brummt, wache ich trotzdem nicht entspannt auf. Ich reiße die Augen auf, checke die Uhr, greife automatisch zum Handy. Mails, Nachrichten, Deadlines. Noch während ich scrolle, weiß ich genau, dass kein Tag so starten sollte. Eigentlich wäre die Reihenfolge klar: Fenster auf, Luft holen, frühstücken, einmal strecken, kurz atmen. Nur fühlt es sich an, als wäre dafür nie Zeit.

Vom Schattenkind und dem Glückskind
Das Buch “Das Kind in dir muss Heimat finden” hat mich damals hart getroffen. Besonders die Idee vom Schattenkind – dieser verletzte Teil in uns, der aus alten Erfahrungen lebt und uns einredet, wir müssten mehr leisten, besser sein, uns erst Ruhe verdienen. Dieser Teil meldet sich bei mir ständig. Du kennst das vielleicht: dieses Gefühl, nie genug zu sein, egal wie viel man macht.. Negative Glaubenssätze entstehen so. Mein “Schattenkind” redet mir gerne ein, dass ich nichts wert bin, nicht genüge, nicht geliebt werde – so wie ich es erfahren musste in meiner Kindheit.
Daneben gibt es aber auch das Glückskind. Diese Seite, die lacht, spielt, genießt. Die Seite, die wir als Kinder hatten, bevor wir gelernt haben, immer „funktionieren“ zu müssen. Und das Verrückte: Man kann dieses Glückskind wiederbeleben. Aber nicht durch Leistung, sondern durch Momente, die wirklich gut tun.
Das Glückskind lebt auch von positiven Erfahrungen. Zum Glück können wir es, wenn wir davon wenig haben, wieder aufbauen. Doch wie geht das?

Balance ist kein Zustand, sondern ein Kampf
Wer viel arbeitet und viel Verantwortung trägt, braucht Ausgleich. Nicht als Deko, sondern als Überlebensstrategie. Nur: Entspannung fühlt sich leichter an, wenn das Leben sortiert ist. Bei mir ist es oft umgekehrt. Selbst wenn ich den ganzen Tag gearbeitet habe, kann ich schlecht runterfahren, wenn irgendwo eine Wäscheladung wartet. Und selbst wenn alles erledigt ist – sitze ich dann da und denke: „So. Jetzt genießen.“? Natürlich nicht.
Die Wahrheit ist unbequem: Du wirst nie „fertig“ sein. Die To-Do-Liste ist unsterblich. Die Kunst ist, in einem Leben voller Chaos trotzdem Ruhe zu finden. Nicht nach dem Chaos, sondern mitten drin.
Warum es so schwer ist, sich Genuss zu erlauben
Ich ertappe mich ständig bei dem Gedanken, dass ich mir Pausen erst verdienen muss. Als müsste ich beweisen, dass ich genug geleistet habe, um fünf Minuten nichts zu tun. Als würde etwas Schreckliches passieren, wenn ich mal nicht am Laptop sitze. Diese Logik ist total absurd, aber sie ist tief eingeprägt.
Genießen bedeutet nicht, die Welt anzuhalten. Es bedeutet, sich selbst zwischendurch nicht zu vergessen.
Wenn man ständig „auf Empfang“ ist
Ich glaube, eines der größten Probleme ist, dass wir dauernd erreichbar sind. Mental wie technisch. Selbst wenn ich mich entscheide, „nichts“ zu tun, ist mein Kopf trotzdem im Standby. Die Gedanken laufen weiter wie Tabs im Browser. Was muss ich noch? Was habe ich vergessen? Was passiert, wenn ich etwas verpasse? Dabei verpasst man eigentlich nur sich selbst. Ich merke, wie sehr ich Momente brauche, in denen kein Input kommt. Kein Scrollen, kein Vergleichen, kein Reagieren. Nur Stille. Oder irgendwas Echtes, das nicht durch ein Display gefiltert ist.

Genuss hat viel mit Grenzen zu tun
Was ich gerade lerne: Genuss hat weniger mit Zeit zu tun und viel mehr mit Grenzen. Grenzen nach außen – aber auch nach innen. „Nein“ sagen zu Dingen, die mich leer machen. Mich selbst stoppen, wenn ich wieder in dieses „Ich mach’s schnell noch“-Muster rutsche. Grenzen bedeuten nicht Härte. Sie bedeuten Platz. Raum für Dinge, die mir wirklich gut tun. Und ich merke: Jedes Mal, wenn ich eine Grenze setze, wird dieser Raum ein kleines bisschen größer.
Kleine Rituale, große Wirkung
Ich habe angefangen, mir ganz kleine Rituale aufzubauen, die nicht verhandelbar sind. Nichts Esoterisches. Einfach kleine Punkte im Alltag, die mich ausbremsen. Eine Tasse Kaffee, ohne nebenbei zu arbeiten. Fünf Minuten frische Luft, egal ob die To-Do-Liste schreit. Eine kurze Strecke zu Fuß statt Tram. Ein bewusstes Innehalten, bevor ich wieder irgendwo reinspringe. Winzig kleine Dinge, aber sie verändern den Rhythmus. Nicht der große Urlaub rettet mich, sondern diese kleinen, regelmäßigen Stopps.
Was wirklich hilft
Es sind immer dieselben kleinen Dinge, die wirken. Im Moment sein. Atmen. Kurz aussteigen aus dem Kopf. Genau deswegen funktionieren Atemübungen so gut, wenn man gerade überdreht: Sie holen dich ins Jetzt.
Und das Jetzt ist der einzige Ort, an dem Genuss möglich ist.
Und jetzt?
Stell dir die Frage ruhig ehrlich: Kann ich genießen? Nicht perfekt, nicht immer, aber genug, um mein Leben nicht nur zu überstehen, sondern zu erleben.
Ich arbeite daran. Jeden Tag ein bisschen. Und vielleicht ist das schon ein Anfang.


Fotos entstanden bei Madame Tussaud’s: Günstige Freizeitaktivitäten in Berlin






18 Kommentare
Toll geschrieben, und so wichtig in der heutigen Zeit! 🙂 Ich kann es besser, seit ich wieder tanze – da geht es ständig darum, dass es eigentlich unmöglich ist, perfekt zu werden, und trotzdem macht es Spaß, an sich zu arbeiten. Nach so einem Training kann ich wunderbar zuhause im Chaos sitzen und mir denken, morgen ist auch noch ein Tag…
Süper! Und genau auf den Punkt gebracht. So wichtig in der dieser Welt, die nur noch aus “LEistung” besteht
Beim Betrachten der Fotos dachte ich gerade, du wärst im Currywurstmuseum gewesen, da lagen nämlich auch so große Pommes rum 🙂 Wieder sehr schön geschrieben, Andrea!
Liebe Grüße
Jana
Der Bestseller “Das Kind in dir muss Heimat finden” hat schon vielen Menschen eine Perspektive eröffnet ihre Schatten zu integrieren. Danke für Deine Sicht der Dinge.
Alles Liebe
Annette
Als voll beruftstätige Mutter mit 2 Teenie Jungs und einem Hobby-Blog, gibt es natürlich nie wirklich Feierabend. Es immer etwas zu tun und oft ist es hektisch und stressig. Ich entspanne, wenn wir gemütlich sonntags mit der ganzen Famile am Spieltisch sitzen und gemeinsam Spaß haben, ohne Fernseher, ohne PC.. Das ist für mich Genuß und Glück!
Verspielte Grüßle,
Simone
Hey.
Viele Faktoren kenne ich selbst sehr gut. Keine Zeit zum Entspannen, keine Zeit sich etwas zu gönnen oder, oder, oder. Ich genieße meine Auszeiten ganz bewusst. Wenn ich mal keine Lust habe, an meinem Buch zu schreiben, tue ich es nicht. Wenn ich mal nicht lesen will, gibt es eben ein Hörbuch. Manchmal tue ich auch einfach nichts, mache dann abends im Bett die Augen zu und bin. Das ist auch einmal schön. Man muss nicht 24/7 verfügbar sein oder immer gleich auf eine WhatsApp oder Email antworten. Einfach mal sein.
Liebste Grüße,
Merry.
Wunderbarer Blog.
Posts wie diese machen Gedanken. Und das positiv. Vor allem die Frage “Kannst du das Leben genießen?” lässt mich nicht mehr los. Danke, sowas liebe ich.
Ich selbst habe für mich auch eine Balance gefunden, die du beschreibst. Es ist wichtig, denke ich und ich sehe leider viele Menschen, die das nicht wahr haben wollen, dass eine Balance wichtig ist.
Die Fotos finde ich sehr schön. Wunderbar.
Im unserem Urlaub konnte ich tatsächlich abschalten. Ich war zwar auch online, aber das tat gut und ich habe dadurch die Lust am Bloggen wieder gefunden.
Liebe Grüße,
Saskia Katharina
Ja das muss man echt kernen. Mittlerweile kann ich nein Leben sehr gut genießen. Sich Auszeit nehmen ist total wichtig. Liebe Grüße, Claudia
“das was im Leben zählt ist die Balance”… Wie wahr das ist!
Als ich noch viel gearbeitet habe, war ich mir sicher, in meiner elternzeit, wenn Ruhe einkehrt, werde ich mein Leben genießen. Nun fällt mir die Decke auf den kopf und ich wünschte mir öfter eine Aufgabe.
Viele Grüße
Wioleta von http://www.busymama.de
Hallo Liebes,
mir wird es momentan etwas schwer gemacht, das Leben zu genießen, aber ich tue mein Bestes, um nicht die Hoffnung zu verlieren, dass sich bald alles beruhigt und besser wird. Seit November werde ich ganz schön auf die Probe gestellt.
Schönen Sonntag!
Liebst Linni
http://www.linnisleben.de
Deine Bilder sorgen wirklich für gute Laune.
Ich gebe zu, ich versuche überall das Positive zu sehen.
Klappt fast immer. Ganz nach dem Motto: wie man in den Wald hinein ruft…
LG Katja
Super geschrieben und auf den Punkt gebracht. Wie einfach und wundervoll war doch das Leben früher.. Man sieht viel zu oft Probleme, die absolut keine sind. Lässt sich stressen, obwohl es gar nicht sein müsste. Meckert, obwohl es gar nicht so viel zu meckern gibt, anstatt sich auf die guten Dinge zu konzentrieren.
Momentan fällt es mir zwar mehr als schwer, aber aufstehen, Krone richten und bis zum nächsten Sturz weiter laufen, heißt die Devise.
Bei mir läufts, wie du weißt, zwar derzeit nur noch rückwärts und berg ab, aber es läuft…
Toller Beitrag! Man muss die innere Balance finden, die Work-life-love-Balance. Fällt mir auch nicht immer leicht. Als das jetzt mit meinem Hund war, wurde mir erst wieder bewusst, wie unwichtig doch mein Handy eigentlich ist! Es war sehr viel wichtiger, für ihn da zu sein. Ich habe tolle Gespräche im Wartezimmer beim Tierarzt geführt, dass ich garnicht gemerkt habe, dass ich mein Handy im Auto vergessen habe! Allerdings habe ich auch wieder gespürt, wie gut ich Menschen in ein Gespräch bringen kann, nicht small talk sondern Gespräche, die zum Nachdenken anregen. Und zwar alle! Keiner war genervt, eher unterhalten von mir. Das tat mir zusätzlich sehr gut.
Lieben Gruß, Bea.
Leider sind wir fast alle auf Leistung getrimmt und gerade Frauen müssen in einigen Berufen noch mehr leisten als Männer, dazu sollen sie natürlich auch noch eine super Hausfrau sein, eine gute Mutter und von dem anderen will ich jetzt nicht reden……Ich habe meine Ruhe erst mit dem Alter gefunden, mittlerweile bin ich viel gelassener geworden und manche Dinge sind mir einfach schnuppe….Damit will und werde ich meine Zeit nicht vergeuden…..
Liebe Grüße Daniela von https://travelmixbestager.de/
Ich kenne diese Themen sehr gut! Ich bin mein Leben lang in meinem persönlichen “Hamsterrad” gefangen, aber ich merke immer öfter wie wichtig es ist auf mich zu schauen und das Leben zu genießen. Die richtigen Glaubensätze helfen da ganz sicher. Deine Fotos machen übrigens gute Laune :-)!
lg
Verena
Toller Artikel Andrea! Ich würde behaupten, dass ich das Leben manchmal auch viel zu wenig genieße und mich von Negativem ablenken lasse. Aber die richtigen Motivationen, wie auch dein Blogartikel, helfen da echt gut. 🙂
Hi, das kenne ich. Manchmal fällt es schwer einfach mal abzuschalten. Ich war eben erst im Urlaub und konnte ein wenig abschalten aber kaum ist man zurück, hat einen der Alltag eingeholt. Super Eindrücke.
Lg Melissa von http://www.melissawxc.de