Glück hat sich für mich lange wie eine Excel-Formel angefühlt: Leistung rein, Anerkennung raus. Ausbildung 1,0, Marketingjob, BWL-Studium, am Wochenende noch jobben, Führerschein nebenbei – durchziehen, liefern, weitermachen. Bis es krachte. Mobbing im Büro, Heulkrämpfe während der Arbeit, Blackout im Supermarkt. Ende 2011 war Schluss. Ich kündigte, stoppte das Studium, plante Berlin, startete mit dem Blog, arbeitete später nur noch Teilzeit.
Die harte Wahrheit danach: Äußere Veränderungen lösen kein inneres Loch. Neuer Job, neue Stadt, neuer Partner – nett. Aber Selbstliebe? Fehlanzeige.
Dieser Artikel ist kein „Badewanne + Kerze = Selbstliebe“-Kitsch. Er ist ein praxisnaher Wegweiser, wie du Selbstwert und Selbstliebe Schritt für Schritt aufbaust – auch wenn Angst, Zweifel und ein lauter innerer Kritiker gerade Oberwasser haben.
Was Selbstliebe wirklich bedeutet (und was nicht)
Selbstliebe ist kein Gefühl auf Knopfdruck. Es ist ein Verhalten. Dinge, die du für dich tust – auch dann, wenn du dich nicht großartig fühlst.
Selbstliebe ist:
- Grenzen setzen, statt dich zu verbiegen.
- Dich freundlich behandeln – besonders, wenn etwas schiefgeht.
- Verantwortung für dein Leben übernehmen (statt auf ein Wunder von außen zu warten).
- Entscheidungen treffen, die zu deinen Werten passen – nicht zu fremden Erwartungen.
Selbstliebe ist NICHT:
- Ein Dauer-High. Es wird schlechte Tage geben. Du handelst trotzdem fürsorglich.
- Ego-Trip oder „alles ist perfekt“.
- Perfektionismus als Tarnung („Ich optimiere mich liebenswert“).

Warum „mehr leisten“ das Loch nicht füllt
Ich habe jahrelang versucht, Kritik mit Perfektion zu neutralisieren. Hat nie funktioniert. Je mehr ich im Außen sammelte (Geld, Follower, Status), desto abhängiger wurde ich von fremder Bestätigung. Selbstliebe entsteht nicht durch Applaus, sondern durch Selbstachtung: Ich weiß, wer ich bin, was mir wichtig ist, und handle danach – auch wenn niemand klatscht.
7 Schritte, um Selbstliebe im Alltag aufzubauen
1) Radikale Bestandsaufnahme (ehrlich, aber freundlich)
Setz dich 15 Minuten hin, Handy weg. Beantworte schriftlich:
- Wo verrate ich mich selbst (Job, Beziehung, Freundeskreis, Social Media)?
- Was bräuchte ich realistisch, um mich stabiler zu fühlen (Schlaf, Ruhe, Bewegung, Therapie, Grenzen)?
- Welche drei Dinge funktionieren bereits gut?
Wichtig: Kein Selbst-Bashing. Du schaust hin, ohne dich zu zerlegen.
2) Grenzen setzen – klein anfangen, konsequent bleiben
Grenzen sind das Fundament von Selbstliebe. Ohne sie wirst du auf Dauer ausgenutzt – von anderen oder von deinem alten Muster.
- Mini-Übung: Sag diese Woche einmal „Nein“ zu etwas, das du aus Pflichtgefühl tun würdest.
- Formulierungs-Helfer: „Danke für die Anfrage. Das passt diese Woche nicht. Ich melde mich, wenn es wieder Luft gibt.“
- Merksatz: Grenzen sind nicht unfreundlich. Sie sind ehrlich.
3) Der innere Kritiker: entwaffnen, nicht bekämpfen
Dieser Dauersound („Du bist nicht genug“) wird nicht durch „sei doch positiv“ leiser.
- Realitätscheck: „Welche Fakten sprechen für diese harsche Bewertung? Welche dagegen?“
- Reframe: statt „Ich hab’s verkackt“ → „Ich habe XY gelernt. Nächstes Mal mache ich Z.“
- Sprache beobachten: Würdest du so mit einer Freundin sprechen? Wenn nein, stopp – neu formulieren.

4) Routinen, die dich stärken (Körper zuerst)
Selbstliebe ist körperlich. Wer ständig übermüdet, unterzuckert, überreizt ist, hat keine Nerven für sanfte Selbstgespräche.
- Schlaf: feste Zeiten + Abendroutine (Licht runter, Handy raus, kurze Atemübung).
- Essen & Trinken: regelmäßig, ausreichend, viel Wasser.
- Bewegen: 20 Minuten täglich reichen (Spaziergang, Dehnen, leichtes Workout). Es geht um Regelmäßigkeit, nicht um Rekorde.
5) Beziehungen auditieren – Hygiene für dein Umfeld
Mach eine ehrliche Liste:
- Plus-Energie: Menschen, nach denen du dich ruhig/lebendig fühlst.
- Minus-Energie: Menschen, nach denen du dich klein/erschöpft fühlst.
Radikale Schnitte sind nicht immer nötig. Aber Dosis anpassen ist Pflicht: mehr Plus, weniger Minus.
6) Digital Detox light – Futter für den Kopf filtern
- Accounts muten/entfolgen, die permanent Vergleichs-Druck triggern.
- Konsum-Slots festlegen (z. B. 2×15 Min. täglich), nicht „immer nebenbei“.
- Feed kuratieren: Inhalte, die inspirieren, nicht abwerten.
7) Entscheidungen treffen – der Mutmuskel
Selbstliebe zeigt sich in Entscheidungen, die zu deinen Werten passen.
- Werte-Klärung (3×W): Wofür will ich stehen? (z. B. Ehrlichkeit, Ruhe, Freiheit)
- Werte → Handlung: Jede Woche eine kleine Aktion pro Wert (Freiheit = Solo-Kino; Ruhe = Handyfreie Stunde).
- Zeitlimit: Für mittelgroße Entscheidungen 24 Stunden Bedenkzeit, dann verbindlich entscheiden.
5 Tools, die wirklich helfen
A) 5-Minuten-Journal (morgens & abends, maximal 5 Min.)
- Morgens: 1) Wofür bin ich dankbar? 2) Was macht den Tag gut? 3) Welcher Mensch will ich heute sein?
- Abends: 1) Was lief gut? 2) Was habe ich gelernt? 3) Was brauche ich morgen?
B) Notfall-Plan bei Triggern (auf Karte/Handy)
- Stopp sagen (laut/leise).
- 4 Sekunden ein, 6 Sekunden aus – 10 Atemzüge.
- Körper erden (Füße spüren, Schultern senken).
- Einen Satz wählen: „Ich bin sicher. Ich darf langsam machen.“
- Erst danach antworten.
C) „Beweise sammeln“ statt Selbstabwertung
Liste in den Notizen: kleine Erfolge, gehaltene Grenzen, mutige Momente. Wöchentlich lesen. Gehirn lernt durch Wiederholung – füttere es mit Belegen.
D) Selbstmitgefühl in 3 Schritten (Kurzform)
- Anerkennen: „Das ist gerade schwer.“
- Menschlichkeit: „So geht es vielen.“
- Freundlichkeit: „Was würde ich meiner besten Freundin raten?“
E) Mini-Experimente (2 Wochen)
- Wenn der Kritiker brüllt, 24 Stunden keine Entscheidung treffen.
- Eine Verabredung absagen – beobachte, wie okay die Welt weiterläuft.
- Einmal pro Woche bewusst etwas für dich tun (ohne Output-Zwang).
Rückfälle gehören dazu – so bleibst du dran
Es wird Tage geben, an denen du dich wieder in alte Muster stürzt: People Pleasing, Vergleiche, Selbstkritik. Das ist normal.
- Analyse statt Anklage: Was war der Auslöser? Wie kann ich nächstes Mal 1 % anders handeln?
- Skalierung nutzen: „Wie stark ist das Gefühl von 0–10?“ Schon bei 4–6 mit dem Notfall-Plan arbeiten.
- Langsam ist schnell: 1 % pro Woche = 52 % im Jahr. Das ist riesig.
Und wenn es richtig dunkel wird?
Selbstliebe ersetzt keine professionelle Hilfe. Wenn du seit Wochen kaum schläfst, kaum isst, dich hoffnungslos fühlst oder mit Suizidgedanken kämpfst: Bitte hol dir Unterstützung – zuerst bei Hausärztin/Hausarzt, Psychotherapeut*in oder einer Krisenberatung. Hilfe annehmen ist kein Scheitern, sondern gelebte Selbstachtung.
Mein Fazit: Selbstliebe ist Praxis – jeden Tag ein Zentimeter
Ich habe gelernt: Selbstliebe ist nicht das Ende einer Reise, sondern die Art, wie man reist. Mit Pausen. Mit Grenzen und mit ehrlichen Entscheidungen. Du musst nicht erst „perfekt“ werden, um dich freundlich zu behandeln. Du behandelst dich freundlich – und wirst stabiler.
Starte heute:
- Eine Grenze setzen.
- Fünf Minuten Journal.
- Ein Glas Wasser trinken.
- Eine Person/Account muten.
- Eine Mini-Entscheidung in 5 Minuten treffen.
Klein ist groß. Und du bist nicht „zu spät“. Du fängst heute an.
3 Kommentare
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Von dem, was du schreibst, kann ich auch ein Lied singen… Danke für deine so offenen Worte. Ich glaube, wenn man da snicht shcon selbst erlebt und realisert hat, kann man das schlecht nachvollziehen. Es ist ein unglaublicher Schritt zu sich selbst und irgendwie heilsam, zu erkennen, dass nichts im Äußeren das eigene Glück wirklich tangiert, beeinflusst. Es kann nur aus uns selbst kommen. Und ja, das ist ein Prozess der nicht von heute auf Morgen geht. Ich wünsche dir alles Gute dabei und finde es großartig, dass du schon jetzt dabei bist. Viele Menschen verstehen das bis ans Lebensende nicht…
[…] habe ich mich vertieft damit beschäftigt. 2019 fragte ich mich, ganz ähnlicher Titel: „Kannst du dich selbst lieben?„. Brauche ich den Erfolg und die Bestätigung von außen, um mich selbst akzeptieren zu […]