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Freitagspost: Byebye, Aufschieberitits – ich mach das jetzt!

10. August 2018
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“Eines Tages wirst du aufwachen und keine Zeit mehr haben für die Dinge, die du immer tun wolltest. Tu sie jetzt.” Dieses Zitat erscheint, wenn ich Aufschieberitis google und es bringt mir herzlich wenig. So gerne ich Paolo Coelho mag, hier wirkt es fehl am Platz. Wollte ich wirklich immer schon meine Steuererklärung machen oder den Abwasch von gestern Abend? War es immer schon mein Wunsch, alles über Google Analytics zu lernen und endlich eine neue Wohnung zu suchen? Nein. Nützlich ist es allemal. Getan werden muss es auf jeden Fall, vor allem im Fall der leidigen Steuererklärung. Warum fällt es mir so leicht, eine neue Serie bei Netflix anzufangen und so schwer, meine Buchhaltung zu sortieren? Na klar, es macht nicht so viel Spaß. Doch es gibt Hilfe gegeben die böse ProkrastinationAufschieberitis. Hoffe ich zumindest und versuche es immer mal!

Es ist fast schon ein Running Gag, wie zuverlässig ich in bestimmten Situationen in Aufschieberitis verfalle. Ich könnte mittlerweile Vorträge darüber halten – oder wenigstens ein Comedy-Programm schreiben. Dieses typische Muster: Etwas Wichtiges steht an, also mache ich erstmal alles andere. Erst recht seit ich Mama bin und mein Alltag sowieso aus 100 Mini-Aufgaben besteht, die ständig reinplatzen. Die perfekte Ausrede, die ich nicht mal aktiv erfinden muss.

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Prokrastination: Unwichtige Aufgaben sind plötzlich Priorität

Manchmal frage ich mich, ob Aufschieberitis nicht eigentlich eine Mischung aus Selbstschutz und Selbstboykott ist. Kann Vergesslichkeit auch mal gut sein? Ich schiebe etwas auf, weil es unangenehm ist, aber gleichzeitig weiß ich genau, dass ich es mir später doppelt schwer mache. Dieser innere Dialog, der sich anhört wie zwei nervige WG-Mitbewohner, die sich gegenseitig ausbremsen, statt einfach kurz das Bad zu putzen. Und obwohl ich das weiß, sitze ich trotzdem da, telefoniere eine Stunde mit meiner Freundin über absolut gar nichts und wundere mich dann, warum mein Tag wieder im Chaos endet.

Und dann kommt der Lieblingssatz aller Menschen mit perfekter Zeitstruktur: „Du musst Prioritäten setzen.“ Ja. Danke. Das hilft ungefähr so sehr wie der Hinweis: „Schlaf doch, wenn das Baby schläft.“ Wir alle wissen theoretisch, wie es funktionieren sollte. Das Problem ist nicht das Wissen. Das Problem ist der Moment, in dem ich handeln müsste. Da setzt der Widerstand ein – fies, leise, hartnäckig.

Mein liebstes Beispiel für meine übelste Form der Aufschieberitis: Der anstehende Urlaub. Jedes Mal wenn ich eigentlich meinen Koffer packen sollte, fällt mir plötzlich ein, was ich alles noch richtig dringend davor erledigen muss. Wann habe ich denn zum letzten Mal den Staub auf den Schränken weggewischt, meinen Kühlschrank abgetaut oder die Kaffeemaschine entkalkt? Das muss ich jetzt unbedingt noch machen! Was sollte denn sonst die Katzensitterin denken und überhaupt, mit diesen staubigen Schränken kann niemand verreisen. Irgendwann mitten in der Nacht fange ich dann schweißgebadet an, ein oder zwei erste Outfits für die Reise zusammenzustellen. Kurz bevor der Taxifahrer klingelt, schlage ich den Koffer zu und hetze zum Flughafen. Das ist die Nervosität, sage ich mir dann. Oder: Die Kaffeemaschine musste eben wirklich heute entkalkt werden!

Am absurdesten ist, wie ernst ich diese Ersatz-Aufgaben plötzlich nehme. Da wird die Sockenschublade sortiert, als wäre ich Chefin eines internationalen Ordnungskomitees. Und irgendwo tief in mir weiß ich: Ich flüchte. Nicht vor der Aufgabe selbst, sondern vor dem Druck, der mit ihr verbunden ist.

Ich könnte jetzt positiv denken. Je öfter ich verreise, umso klinisch reiner wird meine Wohnung. Doch der Stress, der mit der Prokrastination einhergeht, macht mir wirklich zu schaffen. Es ist fast schon verrückt, wie kreativ ich werde, sobald es darum geht, das Eigentliche nicht zu tun. Ich kann mich stundenlang mit total nebensächlichen Aufgaben beschäftigen, während die eigentliche To-Do wie ein dunkler Sturm am Horizont steht. Und trotzdem schiebe ich sie weiter vor mir her wie ein kaputter Einkaufswagen. Im Grunde bescheiße ich mich jedes Mal selbst. Dieser Stress – der selbstgemachte natürlich – ist das, was mich am Ende fertig macht.

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Warum unser Gehirn Aufschieberitis liebt

Es klingt blöd, aber biologisch macht das Verhalten total Sinn. Unser Gehirn liebt Belohnung. Und noch mehr liebt es schnelle Belohnung. Netflix? Schnell. Instagram? Schnell. Ein kurzer Snack? Schnell. Buchhaltung? Null Belohnung. Steuer? Negative Belohnung. Wohnungssuche? Emotionale Hölle. Also versucht unser Gehirn, uns davor zu schützen und bietet Alternativen, die weniger wehtun.

Prokrastination ist kein Charakterschaden. Es ist eine Stressreaktion. Ein Überlebensmodus, völlig unlogisch, aber tief verdrahtet. Und in einer Welt voller Dopaminfallen natürlich noch stärker.

Gerade in Berlin kenne ich niemanden, der nicht aufschiebt. Hier ist alles so schnell, laut, voll – und gleichzeitig ist der Druck enorm. Selbstständigkeit, Baby, Blog, Deadlines, Mails, Haushalt. Wenn ich nicht aufpassen würde, würde ich vermutlich sogar das Essen kochen aufschieben, bis mein Körper mich anschreit.

Die 5-Sekunden-Regel von Mel Robbins

Mel Robbins sagt, wir wollen im Grunde nur dem Stress aus dem Weg gehen. Daher schieben wir auf. Witzig, weil gerade diese so viel Stress verursacht. Macht also nicht so viel Sinn. Im ersten Schritt sollen wir nach dieser Regel erstmal akzeptieren, dass wir gestresst sind. Ok, das ist nicht so schwer. Ich bin ständig gestresst, gebe ich gerne zu. Sie sagt, unser Leben definiert sich dadurch, wie wir auf Situationen reagieren. Das müssen wir ändern – unsere Reaktion! Nicht nur darüber nachdenken, was wir tun müssten – sondern es auch wirklich machen!

„Wenn du mutig handelst, spielt dein Gehirn dabei keine Rolle. Dein Herz spricht zu dir, und du hörst zu“

Im Klartext heißt es: Nicht über den Stress und die Entscheidung  lange nachdenken, sondern in kürzester Zeit anfangen zu handeln! Damit durchbrechen wir den Kreislauf. In meinem Fall heißt es: Koffer packen! Jetzt!!

Und ja, manchmal klappt es nicht. Dann sitze ich trotzdem da, summe irgendeine Werbung vor mich hin und starre eine Steuerbescheinigung an, als sei es ein feindliches Wesen. Aber insgesamt hilft es mehr, als ich erwartet hätte. Vor allem, weil es mich zwingt, ehrlich zu sein: Will ich wirklich handeln? Oder will ich die Illusion behalten, dass „morgen“ eine magische Lösung bringt?

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Was mir wirklich hilft – meine Anti-Prokrastinations-Strategien

Damit du am Ende nicht nur mit einer Geschichte über meine Kofferpack-Panik rausgehst, hier das, was bei mir wirklich funktioniert:

1. Micro-To-Dos
Nicht „Steuer machen“, sondern: „Beleg A suchen“. Ein Schritt. Mini. Machbar.

2. Timer setzen
10 Minuten. Mehr nicht. Danach darf ich aufhören. Lustigerweise mache ich meist weiter.

3. Sofort-Regel
Alles, was weniger als 2 Minuten dauert, mache ich unmittelbar. Kein Verhandeln.

4. Accountability
Ich erzähle einer Freundin, was ich heute erledigen will. Verantwortung wirkt Wunder.

5. Das Chaos sichtbar machen
Ich schreibe die To-Dos per Hand. Der psychische Effekt ist stärker als digital.

6. Dopamin bewusst steuern
Erst Aufgabe, dann Belohnung. Nicht umgekehrt.

Das ist kein Zaubersystem. Es ist ein Werkzeugkasten. Aber einer, der funktioniert, wenn ich ihn benutze.

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Warum ich darüber schreibe

Weil wir alle denken, wir wären allein mit diesem Problem. Dabei ist Prokrastination ein modernes Massenphänomen. Wir arbeiten zu viel, denken zu viel, erwarten zu viel von uns. Und gleichzeitig leben wir in einer Welt, in der Ablenkung immer nur einen Klick entfernt ist.

Vielleicht geht es am Ende gar nicht darum, perfekt organisiert zu sein. Vielleicht geht es darum, sich selbst nicht mehr auszutricksen. Weniger Drama, mehr machen. Weniger Selbstvorwurf, mehr Verständnis. Und die Gelassenheit, dass manche Tage chaotisch bleiben, egal wie viele Methoden ich

Was sagt ihr zu der 5-Sekunden, die im Grunde so unfassbar simpel klingt? Probiert ihr es aus? Oder habt ihr andere Tricks, die euch wirklich aus dem Prokrastinations-Strudel ziehen? Ich liebe es, solche Dinge von euch zu lesen, weil ich jedes Mal merke: Wir sitzen alle im gleichen Boot. Und manchmal reicht schon ein einziger Satz, um den eigenen Startknopf zu drücken.

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5 Kommentare

  • Antworten Rebecca 10. August 2018 um 18:14

    Das kenn ich gut und musste beim Lesen schmunseln.
    Ich hasse Putzen und ich hasse Aufräumen, aber wenn ich Hausarbeiten schreiben musste, dann hat es mir so viel Freude gemacht!
    Da war meine Wohnung immer wunderbar rein!
    Mich erwischt das Phänomen des Aufschiebens, immer bei Dingen die ich nicht mag. Koffer packen zum Beispiel mag ich sehr. Steuererklärung nicht. Es ist immer ein Auf und Ab, aber ich denke, wenn man sich immer selber zwingt etwas zu tun, wozu man gerade emotional nicht bereit ist, ist das auch ungesund:

    xo Rebecca
    https://pineapplesandpumps.com/

  • Antworten Claudia Kimberger 22. August 2018 um 07:33

    Oja, dieses Phänomen kennen wohl viele – ich genauso. Da muss man sich selbst aufrappeln. LG Claudia

  • Antworten Yvonne 22. August 2018 um 08:55

    Genau der richtige Post für mich!

  • Antworten Entdecke Sachsen: Was hat Chemnitz so zu bieten? - andysparkles.de 27. August 2018 um 17:52

    […] Die SBS Hallen am Stadtrand von Chemnitz bieten ein riesengroßes Paradies für Sammler von alten Möbelstücken und allerlei Kuriositäten. Teilweise konnte ich die säuberlich aufgereihten Gegenstände nicht mal benennen. Die hoch gestapelten alten Fernseher boten uns auch eine tolle Kulisse für diesen Freitagspost! […]

  • Antworten Warum reagiere ich so impulsiv? - andysparkles.de 27. Januar 2023 um 19:00

    […] Manchmal weiß ich das sehr zu schätzen. Mein erstes Tattoo hatte ich innerhalb von Minuten beschlossen und spontan durchführen lassen. Keinen Tag habe ich es bereut. Wo andere erst lange überlegen und zaudern, habe ich schon gehandelt. Manchmal buche ich spontan Flüge. Doch manchmal fällt es mir genau durch diese Impulsivität auch so schwer, Routineaufgaben zu erledigen, die eben nicht so viel Spaß machen. Schnell fange ich dann an zu prokrastinieren. Das kennen viele von uns! Siehe mein Artikel “ByeBye Aufschieberitis“. […]

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